13.05.2023 - 14.05.2023
Leitung: Sensei Christian Lind
Getreu dem Motto „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ trafen sich am 2. Maiwochenende 14 Kampfkunst-Freunde um sich mit der Kata „Enpi“ aus dem Shotokan ryu zu beschäftigen. Der Name leitet sich ab aus den Schriftzeichen für „en“ = Schwalbe und „hi“ = fliegen. G. Funakoshi wählte diesen Namen für die Kata, als er in Japan unterrichtete. Der alte Name der Kata ist Wanshu und bezieht sich auf einen Diplomaten und Kampfkünstler, der im Jahre 1683 mit einer großen Delegation nach Okinawa kam. Ob es eine original von ihm überlieferte Form ist, oder sich um eine Kreation seiner Schüler handelt, die ihm zu Ehren den Namen bekam, ist nicht klar. Immer wieder kann man lesen, dass Enpi mit schnellen und flinken Richtungs- und Höhenwechseln wie der zickzackartige Flug einer Schwalbe ausgeführt werden soll. Damit soll die Kata im besonderen Maße das Shorin-Stilsystem repräsentieren. Doch dazu komme ich später noch einmal.
Sensei Christian Lind ließ uns im Laufe der drei Trainingseinheiten einzelne Sequenzen der Kata laufen und anschließend entwickelten wir die Anwendungen. Für Einige vielleicht unerwartet, begannen diese Partnerübungen fast nie mit Atemi Techniken. Und wenn waren sie meistens mit Haltegriffen verbunden. Ein paar dieser Anwendungen waren mir bereits geläufig. Das wir am Ende aber ganze 6 klassifizierte Würfe in der Kata gefunden haben fand ich beeindruckend. Uchi und Soto gari, Fumi dachi, Tai otoshi, Katawa und Hizawa guruma leitete Sensei Lind aus der Kata ab. Dazu noch einige Varianten. Oder einfach ein zu Boden reißen des Partners, wie sich dies aus der ersten Katabewegung ableiten lässt. Dazu wird durch die Shuto uke Kombination eine wirksame Art des Verhaltens in der Clinch-Distanz festgehalten. Dies erinnerte mich an die Aussage, dass viele alte Katasysteme einen kompletten Kampfstil repräsentieren. Ich stellte mir immer vor, dass dann mit wenigen Beschränkungen ein Übungskampf mit den Prinzipien und Techniken einer Kata ausgetragen werden kann, was ich aber bislang so noch wenig umsetzen konnte, außer vielleicht in der Tekki. Aber die Art und Weise, wie Sensei Lind die Anwendungen der Enpi mit uns übte, eröffnet genau diese Möglichkeit. Man beschränkt sich auf die Clinch- oder Grabbling-Distanz oder legt fest, dass man mit der ersten Aktion in diese Distanz geht und arbeitet dann frei mit den in der Kata festgehaltenen vielfältigen Möglichkeiten. Diese erlauben Tori von einem Angriff zum nächsten über zu gehen, falls Uke pariert. Oder umgekehrt geht Uke aus einem sichernden Verhalten plötzlich zu einem Konter über.
Christian Lind zeigte die Anwendungen jeweils in aufbauenden Schritten. Von Grundformen z.B. der Würfe näherten wir uns so Stück für Stück der Situation, wie die Technik in der Kata eingebunden ist. Dabei zeigte er, dass in der Enpi nicht nur Würfe in Grundform eingebaut sind, sondern auch an die Selbstverteidigung angepasste Eingänge. Er ging auch auf die deutlichen Unterschiede zwischen der Enpi und scheinbar älteren Wanshu-Formen ein. Der scheinbare Rückgang der Vielfalt in den Techniken seit den Kata-Reformen von Anko Itosu verwunderte mich immer wieder. Und oft fand ich die Änderung befremdlich, da der Zusammenhang der alten und neuen Bewegung für mich einfach nicht offensichtlich ist. Um so überraschter war der gezeigte Übergang von einer Art Mawashi uke Bewegung in einer alten Wanshu Form zur Enpi von der Ausgangs Kamae bis zu Gedan barai Kagi zuki, was für mich durchaus einen Zusammenhang ergab. Ob diese Änderungen didaktische Überlegungen waren um den Ablauf schneller zu vermitteln? Gerade in diesem Fall handelt es sich eindeutig nicht um das Eliminieren einer gefährlichen Technik?!
Zum Abschluss setzten wir die Techniken alle zusammen und liefen die Enpi komplett. Dabei glichen wir nach 7 Seminarstunden aber eher Schwalbenküken beim Erlernen des Fliegens. Das ausgefeilte hoch und runter, die plötzlichen Richtungswechsel konnten wir wahrscheinlich nur noch andeuten. Dabei stellte ich mir die Frage, wie diese Bewegungsanweisung denn mit den Anwendungen der Kata in Einklang gebracht werden kann. Vor allem das Verhalten im Clinch verbunden mit dem Versuch den Partner zu Boden zu bringen, verbinde ich eher mit kraftraubend und Anstrengung als mit flink und wendig. Wenn man aber nicht die historische Unterscheidung der Shorin/Shorei Stile als Grundlage nimmt, sondern den Hinweis, dass Shorei eher für kleine, leichte Menschen geeignet sein soll, lässt sich vielleicht doch der Sinn erahnen. Um gegen eine schwerere Person in dieser Situation zu bestehen, bleiben mir nur schnelle und plötzliche Wechsel in Höhe und Richtung, da ich im direkten Vergleich Kraft gegen Kraft immer unterlegen bin.
Wieder einmal stellt sich mir im Laufe des Seminars ein altbekanntes Gefühl ein. Eine Kata, die ich halt irgendwie in meinem Repertoire „mitgeschleppt“ habe, bekommt plötzlich eine unglaubliche Faszination und macht Lust auf mehr. Sicherlich liegt dies auch an Sensei Lind, wie er uns diese Kata an diesem Wochenende nahe gebracht hat. Ich glaube aber auch, dass es mir zeigt, wie sehr ich das Karate mit seiner tiefen Mischung aus Form und Freiheit, Prinzip und Technik sowie den immer neuen Blickwinkeln selbige liebe.
Vielen Dank für das tolle Seminar, an Sensei Christian Lind und alle Schwalben die mitgeflogen sind…
Erik Warken
Weil am Rhein
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